Vom Leben an Bord
Tischzeiten
Es gibt feste Tischzeiten in den Messen für Offiziere und Mannschaft:
7:30 – 8:30 Frühstück – 12:00 – 13:00 Mittagessen – 17:00 – 18:00 Abendessen
Darüber hinaus halbstündige Kaffee- und Teepausen um 10:00 und 15:00 Uhr. In beiden Messen wird zu den Mahlzeiten serviert. Als Passagier bekommt man „seinen“ festen Platz in der Offiziersmesse zugewiesen.
Es ist nicht so, dass sich die Crew gemeinsam zu den Mahlzeiten versammelt, es ist eher ein ständiges Kommen und Gehen. Die Küche kann man deftige Hausmannskost nennen, auf Wunsch auch abends warm. Mittags gibt es meist eine Vorsuppe und Obst oder Früchte zum Abschluss. Wer lieber Brot isst, für den stehen Brot, Butter, Wurst, Käse, Marmelade und Honig auf dem Tisch. Rund um die Uhr sind Kaffee, Tee, Milch, Säfte, Mineralwasser und Kekse im Angebot.
Koch und Messejunge
Für das Wohl der Mannschaft sorgen Cookie und Messman, beide Philippinos. Wer sich mit dem Koch gut versteht, mag auch mal Sonderwünsche aufgeben. Es empfiehlt sich, gleich zu Anfang ein paar wertschätzende Worte mit Cookie und Messman zu wechseln und sich als neuer Passagier ordentlich vorzustellen.
Unser „Cookie“. Ein guter Koch.
Nach Absprache mit dem Kapitän über die spätere Zahlungsweise können Getränke und andere Kleinigkeiten beim Messman erstanden werden. Jeder Kauf wird notiert und abgezeichnet. Zum Lagerraum für Bordverkäufe hat allerdings nur der Kapitän den Schlüssel.
Das tatsächliche Shopangebot deckt sich aber kaum mit dem auf der Kammer ausliegenden Katalog des Schiffsversorgers, vielmehr orientiert sich das vorhandene Angebot am herkömmlichen Bedarf der Mannschaft. Und der ist recht bescheiden. Zum Ausgleich sind die Preise steuerfrei ohne Aufschläge – Dose Cola 0,41 EUR, Stange Zigaretten ab 8,35 EUR.
Was macht man den ganzen Tag an Bord
Um es kurz zu sagen: alles, was nicht verboten ist. Und verboten ist kaum etwas. Aber, man muss vom Typ her schon für eine solche Reise geeignet sein. Persönlich kann ich die Fahrt in zwei sehr verschiedene Phasen unterteilen. Die ersten drei Tage waren geprägt vom täglichen Laden und Löschen, von kurzen Fahrten von einem zum nächsten Hafen. Die zweite Phase bestand aus einem sechstägigen Nonstop-Turn. Zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, so empfand ich es.
In der ersten Phase wurde man beschäftigt, unterhalten, bekam etwas geboten. Das Treiben der Van Carrier (Portalhubwagen) und Containerbrücken am Kai, das Einschweben der Container und Krachen beim Arretieren, das Aufschaukeln des Schiffskörpers, nachdem ein besonders schwerer 40-Zöller abgesetzt wurde, das Laschen der Ladung, das Vorüberziehen der Uferlandschaften an Elbe, Maas und Themse, das Nahen der Lotsenboote und die Übernahme der Lotsen, An- und Ablegemanöver. Man hatte Termine und Ereignisse Tag für Tag.
Van Carrier (Portalhubwagen) holen und bringen jeden Container an einen ganz bestimmten Platz. Die Hubwagen heben ihre Last auch noch über drei Containerlagen hinweg.
30 Tonnen darf dieser Container vereinnahmen – so viel wie 21 gut ausgestattete VW-Golf wiegen.
Geladen und gelöscht wird in den Häfen rund um die Uhr.
Nicht so in der zweiten Phase. Die nun gleichbleibende Umdrehungszahl von Hauptmaschine und Propeller und daraus resultierend die konstante akustische Hintergrunduntermalung stehen synonym für den Tempiwechsel der Geschehnisse. Eigentlich geschah nichts mehr. Das ist die Zeit, zum Buch zu greifen, zu schreiben, übers Deck zu spazieren oder dem Wachhabenden auf der Brücke Gesellschaft zu leisten. Das Fehlen jedweder Anregung von außen löst entspannte Ruhe aus. Bei mir.
Zwei Tage später kann ich der Beschreibung der zweiten Phase eine Variante b hinzufügen – die Variante Schlechtwetter. Man könnte sie fast schon mit einem Stubenarrest vergleichen. Im Sturmgebraus ab Windstärke 6 – 7 fallen alle Aktivitäten an Deck ersatzlos aus.
Die Bewegungsfreiheit ist aber auch im Schiff und in der eigenen Kammer eingeschränkt. Ab Windstärke 10 hangelt man sich an Tisch, Bett, Wänden und allem, was festen Halt verspricht, entlang. Da überlegt man sich schon den einen oder anderen Weg. Richtige Ruhe kommt dabei kaum auf. Da ich keine Neigung zur Seekrankheit habe, nehme ich solche Tage auf See als richtiges Abenteuer an.
Ab Windstärke 12 werden die Stühle in den Messen an dafür vorgesehenen Ösen im Boden festgebunden.
Hier ein Auszug aus meinem Bordtagebuch für die Biscaya:
So., 04.10. Auf See – Biscaya
Aufstehen 6:30 Uhr. Die Morgendämmerung setzt gegen 8:00 Uhr ein. Welch ein Unterschied zu den ersten vier Tagen unter stabilem Hochdruckeinfluss. Heute starker Wind, Regen und ein ordentlicher Seegang rütteln und schütteln das Schiff. Wir befinden uns mitten in der Biscaya.
Im Verlaufe des Vormittags nimmt der Sturm noch zu. Laufen ohne sich festzuhalten ist nicht mehr möglich. Das Schreiben auf dem Netbook ist mehr als mühselig; hat das Auge einen Buchstaben fixiert, landet der Finger eben nicht dort, wo er soll. Der Oberkörper, an dem der Finger hängt, hat sich längst der Schwerkraft folgend irgendwo anders hinbewegt.
Bin gespannt auf die Wetterdaten auf der Brücke mit Angabe von Windstärke und Wellenhöhe. Vorläufig gehe ich mal von knapp über 2,0 ‰ Promille aus, *grins.
Die Wellenhöhe beträgt bis zu 3,5 Meter, Böen mit Windstärke 10 – 11 Beaufort (89 – 117 km/h), das ist ein schwerer bis orkanartiger Sturm. Der Kapitän erklärt mir die Besonderheit des gegenwärtigen Seegebietes in der Biscaya. Danach treffen hier zwei Strömungen und Winde aufeinander. Und tatsächlich lässt sich das von der Brücke aus an den Schaumkronen der Wellen gut erkennen. Das erklärt auch, warum das Schiff nicht gleichmäßig schaukelt und stampft, sondern Schläge aus zwei Hauptrichtungen abbekommt.
Gegen 11:00 Uhr befinden wir uns 100 nm (185 km) vom nächsten Wegpunkt „Off Finisterre Tss“ entfernt, den wir bei gleichbleibend Winddruck und Geschwindigkeit zwischen 18 und 19 Uhr erreichen dürften. Vor Jahren stand ich mal dort am Leuchtturm, wo für die Hardcorepilgerer erst der Jacobsweg endet. Weit draußen vor Finisterre in Galizien wird dann eine Kursänderung vorgenommen, die uns entlang der spanischen und portugiesischen Westküste bis auf Höhe der Straße von Gibraltar führen wird.
Nachmittags kommt überwiegend die Sonne durch, auch kann das Schiff zunehmend die Wellen abreiten. Wellenhöhe jetzt 4 bis 5 Meter. Alle paar Minuten nehmen wir mit dem Bug einen Brecher über. Spektakulär anzuschauen, wie die Gischt zu beiden Seiten des Vorschiffs 10 bis 15 Meter in einem hohen Bogen aufsteigt. Bei diesen Brechern, die wie ein mächtiger Schlag gegen den Bug wirken, wird das Schiff abrupt abgebremst. Man kann sich das wie einen Auffahrunfall mit dem Auto vorstellen. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird nach vorn katapultiert, dabei geht ein lautes Krachen durch das Schiff. Der Fahrtmesser zeigt jeweils 2 – 3 Knoten (rd. 5 km/h) weniger an, anschließend schwingt sich der Pott wippend wieder auf die Fahrtgeschwindigkeit ein.
Danke für diesen wirklich lebendigen Bericht. Da packt mich ein wenig das Fernweh und die Abenteuerlust.
… nur zu Chris, las dich packen. 🙂